Riskiert der FC Basel mit seiner Kaderstrategie einen «Liebesentzug» bei Teilen der Fangemeinschaft?
Vor einigen Jahren wurde beim FC Basel vollmundig angekündigt, dass man vermehrt Jungprofis in die erste Mannschaft integrieren wolle, die beim FCB ausgebildet wurden. Bestenfalls sollten diese Spieler auch einen persönlichen Bezug zur Region Nordwestschweiz haben. Dieser Plan ist vorerst weit weg von einer Umsetzung. Die aktuelle Profifussball-Realität ist nämlich eine ganz andere. Es stellt sich aktuell die Frage: Wie stark leidet bei der aktuellen Legionärstruppe die Identifikation der Basler/innen mit dem FCB?
Kürzlich war diese Schlagzeile zu lesen: «Ist der FCB der neue FC Sion?». Eine Anspielung an die Transfer- und Kaderpolitik des mittlerweile in die Challenge League abgestiegenen FC Sion. Auch dort wurde jahrelang das Kadergefüge wild mit «Legionären» durcheinander gemischt und der einst als stolzer «FC Wallis» gepriesene Club verlor bei einem grossen Teil der Fans und in der Bevölkerung viel Rückhalt. Die Identifikation hat stark gelitten. Dies, weil unter anderem der Präsident Christian Constantin viel Goodwill verspielte aber vor allem auch, weil im Kader, wo einst einige Walliser erfolgreich spielten, zuletzt kaum Charaktertypen aus der Region zu finden waren. Parallelen zum FCB 23/24 und der letzten zwei Jahre sind nicht weg zu leugnen. Immerhin haben die erfolgreichen internationalen Conference League Kampagnen so einiges kaschiert und eine gewisse Identifikation erzeugt. Aber längst nicht mehr jene, wie einst, als mit Beni Huggel, den Yakin Brüdern, Marco Streller, Alex Frei und Co. mehrere Spieler aus der Region im Kader standen. Ausserdem auch andere mit einem «FCB Gen», die dem Club jahrelang die Treue hielten. Immerhin: Vereinzelte Spieler aus der Region wie beispielsweise Dominik Schmid finden, nach jahrelanger Absenz seit ihren Juniorenzeiten, nach erfolgreichen Saisons als Leihspieler den Weg zum FCB zurück.
Die Gründe für eine starke Identifikation mit einem Club
Nun haben sich die Zeiten weltweit geändert. Nur noch wenige Clubs haben die Etablierung und Beibehaltung einer Identität als oberste Prämisse. Nicht einmal mehr Ajax Amsterdam oder der FC Barcelona. Einige wenige Ausnahmen gibt es noch (beispielsweise Real Sociedad San Sebastian). In einer grossen Umfrage vom Statista Research Department wurde folgende Frage gestellt: «Aus welchen Gründen identifizieren Sie sich mit Ihrem Lieblingsclub?» Die häufigsten Antworten: Tradition steht ganz oben, zusammen mit den Wertevorstellungen, die der Club vorlebt. Auch positive und emotionale Erinnerungen, die man mit dem Club verbindet, spielen eine grosse Rolle. Dann kommt bereits die Verbundenheit mit der Region als wichtiger Aspekt. Nicht wenige solidarisieren sich mit einem erfolgreichen Club aufgrund der positiven Emotionen oder aus Bewunderung für den sportlichen Erfolg. Für viele ist zudem wichtig, dass Freunde ebenfalls Fans des Clubs sind (Gemeinschaftsgefühl) und für andere ist der Verein, wo deren Lieblingsspieler gerade aktiv sind, ganz hoch im Kurs. Nicht zuletzt auch auf der Liste: Die «vererbte Passion» für einen Club. Diese kann von den Eltern, Geschwistern, von der Familie mit eingebracht worden sein.
Tradition, emotionale Erinnerungen, «vererbte Leidenschaft»…
Der FC Basel kann glücklicherweise noch von einigen dieser Aspekte zehren: Es sind dies Tradition, emotionale Erinnerungen, «vererbte Leidenschaft» und der «Stolz», dass der FC Basel in der Region diese Strahlkraft (noch) hat. Und man erinnert sich noch immer an die Meisterjahre, an die vielen «magischen Nächte» in den Internationalen Wettbewerben. Man ist zudem auch stolz darauf, dass Rotblau über ein Jahrzehnt fast im Alleingang für die Schweiz die meisten Punkte lieferte für den UEFA Club-Koeffizienten und so den Schweizer Clubfussball am besten von allen vertreten konnte.
Dennoch wurde viel darüber debattiert, dass nunmehr nur noch sehr wenige «Basler Identifikationsfiguren» im Kader übrig bleiben. Und diese zudem sportlich in dieser Mannschaft vielleicht bald die zweite Geige spielen. Derzeit klammert man sich an die FCB-Veteranen Taulant Xhaka (ein «Basler») und Fabian Frei (ein «Wahlbasler»). Nach dem Rücktritt von Identifikationsfigur Valentin Stocker (auch er ein «Wahlbasler») keimte die leise Hoffnung, man möge doch vielleicht einen der vom Club einst «verschmähten Exilbasler» wie Cedric Itten oder Pascal Schürpf gewissermassen repatriieren, wie einst Alex Frei. Die Fans müssen sich aber damit abfinden, dass der FC Basel nunmehr eine Söldnertruppe aufgestellt hat und die «Marke FCB» und die Liebe der Bevölkerung zum Club sowie die Fankultur den identifikatorischen Charakter weiterhin schmieden muss. Immerhin: Im Verwaltungsrat und Vereinsvorstand befinden sich einige «echte Baselbieterinnen und Baselbieter oder Baslerinnen und Basler» und einige populäre und starke Identifikationsfiguren, die in diversen Funktionen tätig sein werden. Wird damit die befürchtete «Entwurzelung» abgewendet? Im ersten Moment sicher. Sollte sich der sportliche Erfolg aber weiterhin nicht einstellen, kommt dieses Thema sicher wieder aufs Trapez.
Messbare Alarmsignale
Die Gefahr des Identifikationsverlustes ist bei Aspekten wie Imageverlust, generelle Enttäuschung oder Kaderzusammenstellung bemerkbar, aber auch in messbaren Werten zu belegen: Zum Beispiel der Dauerkartenverkauf – dieser erlebt beim FCB seit 2018 einen Einbruch. Zuletzt zählte man in der Saison 21 / 22 sogar noch rund 13’000 Dauerkartenbesitzer/innen. Das war der bisherige Tiefpunkt, wenn man die letzten rund zwei Jahrzehnte einberechnet. Die Saison danach zog es wieder leicht an. Für die aktuelle Saison rechnet man mit einer kleinen Hausse von zirka 2000 mehr Saisonkarten als zuletzt. Und dies trotz einer Preiserhöhung von rund 7,5 Prozent. Ebenfalls ein Alarmsignal war die hohe «No Show»-Rate in den letzten Saisons. Kurz vor Ausbruch der Covid-Pandemie betrug sie besorgniserregende 30 Prozent. Dieser Trend ist zum Glück etwas zurück gegangen.
Die Ticketeinnahmen waren die letzten Jahre bereits rückläufig. Speziell im Vergleich zum letzten Meisterjahr (von 28,5 Millionen auf 26,74 Millionen Franken gesunken). Und schon seit 2014 gingen die Zuschauerzahlen leicht, aber stetig zurück. Ebenso verkaufte der FCB in der Tendenz etwas weniger Jahreskarten. Man stand vor einigen Jahren noch bei 21’157. Vor vier Jahren erfolgte ein Einbruch, bei dem erstmals seit 2007 (19’965 Jahreskarten) die 20’000er-Marke unterschritten wurde. Ganz anders sah es die letzten Jahre beim grossen Rivalen, dem BSC Young Boys aus. Dieser hatte vor zwei Jahren seinen Saisonkartenabsatz um satte 7000 Abonnenten gesteigert. Die Gründe für die Saisonkarten-Entwicklung beim FCB sind vielseitig: Einerseits sprangen viele so genannte «Mode Fans» ab. Ausserdem: Die Anspruchsgruppen des FCB sind heterogener als je zuvor. Nun sind identifikationsbildende Massnahmen und ein «Retention Marketing» gefragt.
Die Absenz von den Europäischen Clubwettbewerben hat zudem für die Wertschöpfungskette Folgen: Hoteliers, Detailhändler und Betriebe sowie auch für Basel Tourismus und für das Standortmarketing waren die Teilnahmen an einem Europäischen Wettbewerb wichtig. Der FCB hat sich mit den Erfolgen in der Champions und Europa- sowie Conference League in den letzten zwanzig Jahren international kontinuierlich einen Namen gemacht und dadurch auch der Stadt Basel zu einer grösseren Bekanntheit verholfen. Insbesondere die mediale Aufmerksamkeit habe den Namen, beziehungsweise die Marke Basel in die Welt hinaus getragen.
JoW
Das Phänomen «No Shows»
Das Phänomen der «No Shows» wurde schon vielfach untersucht. Der Sportökonome Dominik Schreyer (WHU in Düsseldorf): «Die Stadien wurden Anfang des Jahrtausends mehr als Eventlocations konzipiert. Einerseits waren es Vorgaben der Uefa und Fifa, andererseits wollen Stadionbetreiber eine Mehrfachnutzung etablieren. Die Stehplatzblöcke wurden kleiner, das Fassungsvermögen ebenso. Die Folge: Stadionbesucher/innen konnten sich nicht immer sicher sein, an der Tageskasse noch ein Ticket zu bekommen. Die Dauerkarte wurde eine Art Versicherung und es etablierte sich eine Mentalität die so beschrieben werden kann: «Ich kann jedes Spiel sehen, muss es aber nicht». Für «traditionell-puristische» Fussballfans wäre ein solches Verhalten nur in ausserordentlichen Fällen denkbar. Früher gaben zudem viele ihre Karte im Bekanntenkreis weiter. Heute ermöglichen die Vereine den unkomplizierten Austausch über von ihnen eingerichtete elektronische Börsen. Denn freie Sitze machen sich nicht gut im Fernsehbild. Sogar bei ausgebuchten Clubs kämen pro Heimspiel kurzfristig Hunderte Eintrittskarten in den freien Verkauf. Viele «No Shows» gründen aber auch auf den Fakt, dass gewisse Dauerkarten-Besitzer/innen gleich mehrere Saison-Abos besitzen und diese gezielt für Netzwerk-Zwecke einsetzen und somit selektiv zu den Spielen gehen.
JoW