Bitte, Mama, ich möchte lieber noch ein Weilchen jung bleiben!

    KOLUMNE:


    Jugend von heute

    Kinder können es kaum erwarten, endlich erwachsen zu werden. Endlich selber bestimmen, was man isst, wann man ins Bett geht, oder was man beruflich macht, ohne immer nur in die Schule gehen zu müssen. Das Erwachsen-Sein scheint aus Kinderaugen so unfassbar toll: Süssigkeiten ohne Ende, SpongeBob bis zum Umfallen und ein Job voller Spass ohne Hausaufgaben.

    Tja und hier bin ich jetzt, 15 Jahre später, eine junge Erwachsene. Und manchmal wünsche ich mir, dass ich vielleicht doch wieder jung sein könnte – ein Leben ohne Verantwortung und ohne Selbstbestimmung. Ich befinde mich vor einem Berg voller Pflichten, der mit jedem Tag wächst und wächst. Ich bin verantwortlich für meine Rechnungen und Steuern, dass ich um 6:30 Uhr auf den Zug gehe und dass ich pünktlich am richtigen Tag zu all meinen Terminen erscheine. Plötzlich muss ich meine Krankenkasse kennen und selber beim Arzt anrufen, wenn es mir nicht gut geht. Wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, muss ich alleine für mich einstehen und kann nicht einfach antworten: «Ich verzells mim Mami.» Ich kann ungebackenen Guetzliteig nicht einfach «en masse» essen, denn sonst wird mir schlecht und Fernsehen wird mit der Zeit auch nur noch öde und langweilig. Der positive Schleier des Erwachsenwerdens ist vorübergezogen, so scheint es, und zurückbleibt nur noch die graue, langweilige Fassade.

    Aber ganz ehrlich, warum muss denn auch jeder erwachsen werden? Es gibt doch schon genügend Erwachsene. Kann ich nicht einfach für immer Kind bleiben? Denn ich glaube, ich werde immer ein besseres Kind bleiben, als ein Erwachsener zu werden. Erwachsene zahlen termingerecht ihre Steuern und Rechnungen, essen immer nur gesund und treffen immer nur rationale Entscheidungen. Sie priorisieren ihr Leben richtig, gehen zur richtigen Zeit ins Bett und telefonieren nicht noch ewig mit der besten Freundin. Sie sagen immer das Richtige in den passenden Momenten und nicht das Falsche in den noch viel unpassenderen Momenten. Sie wissen, was sie im Leben erreichen wollen, wer sie sind und geraten nicht alle zwei Monaten in eine Identitätskrise. Sie sind im Leben angekommen und ich bin noch gar nicht erst losgefahren. Ich habe das Gefühl, den Anforderungen des Erwachsenwerdens nicht gerecht zu werden. Ich bin einfach lost (jugendlicher Begriff für verloren sein).

    Aber ehrlicherweise frage ich mich: Denkt jemand wirklich, er macht alles immer richtig, bereut nie eine Entscheidung in seinem Leben und begeht nie einen Fehler?

    Ich bin sicher nicht die Einzige, die Angst vor dieser Verantwortung hat – vor diesem Monster Erwachsenwerden. Doch Erwachsenwerden heisst nicht alles perfekt zu machen, sondern seine Hürden selbstständig zu bewältigen. Das Alleine-Leben kann Angst machen, aber eigentlich heisst es nur, dass man endlich Kapitän seines eigenen Lebens wird. Man kann alles selber entscheiden, lernen und sich etwas aufbauen.

    Nur weil das Alter immer linear zunimmt, heisst es nicht, dass auch das Leben so verläuft. Im Leben gibt es Höhen und Tiefen, Euphorie und Dysphorie. Einmal springt man auf den Zug, dann befindet man sich in einer Sackgasse und einmal fällt man wieder vom Zug. Alles gehört zum Lauf des Lebens dazu. Man lernt aus seinen Fehlern und wie sagt man so schön: «Es gibt keine dummen Fehler, wenn man aus ihnen lernt.» Erwachsenwerden ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Doch egal, wie holprig die Zugfahrt ist, wie viele Pannen und Unfälle es gibt, schlussendlich kommt jeder ans Ziel: «Sich sein eigenes Glück zu erarbeiten, ganz ohne Hilfe von Mami und Papi.»

    Herzlichst
    Lilly Rüdel

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